Künstliche Intelligenz bringt Verstorbenen in China digital zurück: Ein zweite Chance für den Abschied

Dank der künstlichen Intelligenz bekommen Menschen, wie Business Insider berichtet, die Möglichkeit, ihren verstorbenen Liebsten ein letztes Mal „Auf Wiedersehen“ zu sagen.

Der chinesische Software-Ingenieur Yu Jialin stieß 2020 auf einen Aufsatz über Lip-Syncing-Technologie. Das Prinzip ist relativ einfach – ein Computerprogramm synchronisiert Lippenbewegungen mit Sprachaufnahmen. Dies brachte ihn auf die Idee, seinen vor fast einem Jahrzehnt verstorbenen Großvater wiederzuerwecken.

Die Frage „Könnte ich meinen Großvater mithilfe dieser Technologie wiedersehen?“ führte zu einem aufwendigen Projekt, welches von dem investigativen Journalisten Tang Yucheng für das staatliche Magazin Sixth Tone dokumentiert wurde. Es ist eine von mehreren Geschichten, die aus China auftauchen, in denen Menschen KI nutzen, um ihre Verstorbenen quasi wieder zum Leben zu erwecken.

Mit Hilfe verschiedener aufstrebender KI-Technologien haben die Menschen in China Chat-Programme erstellt, die als „Griefbots“ bekannt sind. Sie bauen auf Persönlichkeiten und Erinnerungen der Verstorbenen und bieten den Hinterbliebenen eine Chance, erneut mit ihren geliebten Personen zu kommunizieren.

Für Yu Jialin bot dies die Gelegenheit, seinem Großvater, der ihm während seiner Kindheit zur Seite stand, ein letztes Mal etwas mitzuteilen. Der inzwischen 29-jährige Software-Ingenieur erzählte Tang, dass er noch zwei Vorfälle bedauert, in denen er seinen Großvater harsch behandelte – einmal, weil er sein Videospiel unterbrach und einmal, weil er wollte, dass sein Großvater aufhört, ihn von der Schule abzuholen.

Nach dem Tod seines Großvaters sprach seine Familie kaum mehr über ihn. „Alle in der Familie versuchten eher, sich nicht an den Großvater zu erinnern, anstatt ihn im Gedächtnis zu behalten,“ sagte Yu.

Die Griefbot-Technologie hat von der allgemeinen Begeisterung für ChatGPT profitiert und konnte in den letzten Jahren stark weiterentwickelt werden. Die Technologie wird heute überwiegend dazu genutzt, menschliches Verhalten durch Erinnerungsstücke, Fotos und Aufzeichnungen zu imitieren. Durch den schnellen Fortschritt der generativen KI hat sich die Leistung und Zugänglichkeit von Griefbots enorm gesteigert.

Frühere Modelle erforderten enorme Datenmengen. Heute können jedoch Laien oder einzelne Ingenieure wie Yu mit wenigen Informationsfragmenten aus der Vergangenheit einer Person Sprachmodelle erstellen, die fast genau wiedergeben, wie diese Person ausgesehen hat, gesprochen hat und gedacht hat.

„Mit der heutigen Technologie braucht eine KI nicht viele Beispiele, um den Stil einer Person zu lernen“, sagt Haibing Lu, Professor für Information und Analytik an der Santa Clara University. „Sie müssen das System nur ein bisschen anpassen, um eine 99%ige Ähnlichkeit zu Ihrer gewünschten Person zu erreichen. Die starken Unterschiede werden minimal sein“, fügt Lu hinzu.

Um sein KI-Modell auf die Persönlichkeit seines Großvaters zu prägen, sammelte Yu eine Vielzahl alter Briefe von seiner Großmutter, die sie mit Yu’s Großvater in ihrer Jugend ausgetauscht hatte. Sie enthüllten Aspekte des Mannes, die Yu als Kind nie gesehen hatte.

Zudem fand der Software-Ingenieur Fotos und Videos, die mehr als zehn Jahre alt waren, sowie Textnachrichten, die sein Großvater ihm geschickt hatte. Indem Yu der KI mehr Informationen über seinen Großvater gab, konnte sie eine immer genauere Darstellung der Gewohnheiten und Vorlieben des Mannes liefern. Zum Beispiel erinnerte sich die KI an die Lieblingssendung seines Großvaters.

Als Yu der KI erzählte, dass die Sendung „Happy Teahouse“ nicht mehr ausgestrahlt wird, antwortete der Griefbot: „Das ist schade. Die Show, die ich am meisten sehen wollte, ist nicht mehr verfügbar. Ich hätte gerne noch ein paar Folgen gesehen.“

In diesem Moment hatte Yu das Gefühl, einen wichtigen Schritt erreicht zu haben. Das Programm war schließlich so ausgereift, dass Yu seiner Großmutter sein Werk zeigen konnte. Sie beobachtete schweigend, wie ihr verstorbener Mann auf ihre Fragen antwortete, dankte ihrem Enkel, stand auf und verließ den Raum.

Die Nutzung von KI, um Verstorbene zu „erwecken“, stellt eine neue Möglichkeit dar, um den Trauerprozess zu bewältigen und bietet Menschen eine Chance, sich ein letztes Mal von ihren geliebten Personen zu verabschieden. Trotz aller ethischen Fragen, die diese Technologie aufwirft, kann sie doch als bedeutender Fortschritt in der KI-Technologie gesehen werden und hat das Potenzial, die Art und Weise, wie wir mit Verlust umgehen, grundlegend zu verändern.

Obwohl diese neue Anwendung von KI beeindruckend und trostbringend sein kann, sollten wir dennoch mit Vorsicht vorgehen. Wir müssen uns daran erinnern, dass diese digitalen Repräsentationen der Verstorbenen nicht die wirklichen Personen sind, sondern künstlich geschaffene Echos, die auf vergangenen Daten basieren. Die Griefbots können zwar Erinnerungen bewahren und wiederholen, aber sie können nicht wachsen oder neue Erfahrungen machen. Es ist wichtig, die Grenzen dieser Technologie zu verstehen, um Enttäuschungen oder emotionale Belastungen zu vermeiden. Wir sollten uns auch der ethischen Bedenken bewusst sein, die mit dem Umgang mit den Daten und dem ‚digitalen Nachleben‘ von Verstorbenen einhergehen. Vor allem ist es notwendig, den Datenschutz und die Würde der abgebildeten Personen zu respektieren. Letztendlich kann die Technologie ein hilfreiches Werkzeug im Trauerprozess sein, wenn sie verantwortungsvoll und einfühlsam eingesetzt wird.

Alexander Pinker
Alexander Pinkerhttps://www.medialist.info
Alexander Pinker ist Innovation-Profiler, Zukunftsstratege und Medienexperte und hilft Unternehmen, die Chancen hinter Technologien wie künstlicher Intelligenz für die nächsten fünf bis zehn Jahre zu verstehen. Er ist Gründer des Beratungsunternehmens „Alexander Pinker – Innovation-Profiling“, der Agentur für Innovationsmarketing "innovate! communication" und der Nachrichtenplattform „Medialist Innovation“. Außerdem ist er Autor dreier Bücher und Dozent an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt.

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