Wholistische Innovation – Delabourization

Dieser Begriff wird sehr selten verwendet, aber er existiert! Das hat mich selbst überrascht. Er wird von Gewerkschaften in Lateinamerika verwendet, also in einem lokalen, ganz anderen Kontext, als wir es jetzt hier wollen. Die Rede ist vom Konzept „New Work“.  In diesem Zusammenhang kann sicher je nach Perspektive zumindest partiell von „Delabourisierung“ gesprochen werden. Maschinen übernehmen einen Großteil der Arbeit und der Mensch hat nichts mehr zu tun. Die Definition von „New Work“ geht auf Frithjof Bergmanns Behauptung zurück, dass zwei Drittel der traditionellen Arbeit durch Maschinen ersetzt werden. Dies gilt nicht nur für kleinere Jobs wie in früheren Automatisierungswellen, sondern auch für sogenannte White-Collar-Jobs, selbst im Senior Management. Dieses pechschwarze Bild könnte sich jedoch als Ãœbertreibung erweisen. Fast ebenso viele Experten erwarten, dass wir neue Formen der Beschäftigung finden werden. So habe in der frühen Computerisierung in den 1980er Jahren, die gleiche Panik bestanden, am Ende aber seien mehr Arbeitsplätze geschaffen als vernichtet worden.

Mehr Jobs als zuvor? Selbst wenn das wahr wird, wird es in der Übergangszeit große Probleme geben. Der Grund ist einfach: Menschen, die ihren Arbeitsplatz verlieren, werden nicht die Qualifikation haben, die für die neuen Jobs erforderlich ist. Und die meisten, so steht zu befürchten, werden nicht für die neuen Anforderungen geschult werden können.  Entsprechend werden wir eine wachsende Nachfrage in den Bereichen sehen, die nicht befriedigt werden können, während die Arbeitslosenquote steigen wird – mit Menschen, die den Rest ihres Lebens keinen neuen Job finden werden. Dies würde schwerwiegende Probleme für unsere Sozialsysteme schaffen und potenzielle innere Instabilität in der Gesellschaft.

Das sogenannte Bedingungslose Grundeinkommen   wird als mögliche Brücke angesehen, die die Gesellschaft insgesamt sozialer machen kann. Niemand darf Angst um sein soziales Wohlergehen haben, auch wenn er seinen Job verliert oder krank wird. Dieser Ansatz bekommt jedoch viele Widersprüche. Er sei zu teuer ist eines der Argumente dagegen. Es würde auch die Motivation der Einzelnen zu arbeiten nehmen. Unabhängig davon haben erste Länder wie Finnland und jetzt auch in Deutschland Tests gestartet. Die Initiatoren berichten, dass erste Ergebnisse sehr ermutigend sind. So gäbe es keine Neigung nicht mehr zu arbeiten.

In Deutschland ist ein Test von einer privaten Initiative gestartet, den private Sponsoren finanzieren. 120 Personen erhalten jeweils 1.200 Euro pro Monat, für zwei Jahre. Als die Registrierung für einen der 120 Plätze Anfang September 2020 begann, hatten sich innerhalb der ersten drei Tage über 1,5 Millionen Menschen registriert. Die Anmeldefrist dauerte bis November. Das erste Ergebnis dieses Tests ist, dass auch in Deutschland zumindest die Akzeptanz des Grundeinkommens hoch ist, befeuert durch Ängste rund um Covid-19.

Die Finanzierung des Systems sei möglich, so die Initiatoren. Darüber hinaus gibt es prominente Unterstützung für die Idee des bedingungslosen Grundeinkommen. Sowohl Bill Gates als auch Elon Musk, unabhängig voneinander, erklärten ihre Überzeugung, dass ein allgemeines bedingungsloses Grundeinkommen auf Dauer unvermeidlich sei, um den durch Künstliche Intelligenz (KI) verursachten Arbeitsplatzabbau zu bewältigen. Es könnte über eine Steuer auf Produktivitätssteigerung finanziert werden, die durch KI geschaffen wird. Gates gibt jedoch an, dass unser Gesellschaft noch nicht für die Implementierung bereit ist.

Es sieht nach einen dramatischen Wandel aus. Wenn dieses Szenario Realität wird, besteht die Möglichkeit, dass die Menschen nicht mehr zwingend Erwerbstätigkeit nachgehen müssen, sondern ihren eigenen Ideen und kreativen Projekten folgen können. Welche Auswirkungen werden diese Aktivitäten auf die Gesellschaft haben? Schon heute ist die Erstellung von Inhalten, egal ob es sich um Podcasts, Videostreams oder E-Books handelt, recht einfach geworden – nicht nur das, sondern auch deren Verbreitung über Plattformen wie Amazon und Google. Zum Beispiel sind Ghostwriting und Coaching zu riesigen Branchen geworden. Managern wird angeboten, ihr volles Potenzial zu entdecken und dann müssen sie nicht die Zeit investieren, um über ihre Erfolgsgeheimnisse zu schreiben. Dies wird für sie von einem Ghostwriter erledigt. Egal, ob sie selbst schreiben und vertreiben oder einen Dienstleister in Anspruch nehmen, das Ergebnis ist eine regelrechte Flut an E-Books – von niedriger, mittlerer und seltener sogar herausragender Qualität. Doch die sind in Gefahr in der Flut nicht wahrgenommen zu werden. Schon heute gehen viel Inhalte unter, wenn Sie nicht von komplexen Marketingkampagnen begleitet werden.  In Zukunft wird dies noch zunehmen.

Die Konkurrenz wird immens sein, in jedem Bereich. Wettbewerb um Arbeitsplätze, Projekte, Sichtbarkeit… Es werden viele hybride Modelle entstehen, zum Beispiel zwischen bezahlten Jobs und unternehmerischen Aktivitäten, die sich immer wieder neu erfinden müssen. Vielversprechende Geschäftsmodelle, die einst entwickelt wurden und lange ein gutes Einkommen gewährten, gehören der Vergangenheit. Um ein Beispiel zu konstruieren: Sie erkennen, dass Roboterstaubsauger nicht gut darin sind, Ecken zu reinigen und viele der Besitzer dieser Roboter nicht vollständig zufrieden sind. Jetzt bieten Sie an, dies manuell zu tun. Die Geschäftsidee kommt an und ihr Unternehmen prosperiert, aber wie lange? Der Roboterhersteller erkennt durch Sie das Potential und die nächste Generation wird auch in den Ecken bestehen. Das vielversprechend gestartete Geschäftsmodell stirbt schon kurz nach seiner Geburt.

Werfen wir einen positiven Blick in die Zukunft. Gibt es Trends, die das Potenzial bieten, diese Entwicklungen auszugleichen? Um einen Komiker zu zitieren: Prognosen über die Zukunft sind schwierig, weil es um die Zukunft geht, von daher ist das jetzt natürlich mit Vorsicht zu betrachten. Nicola Beer von der FDP, die heute eine der Vizepräsidentinnen des Europäischen Parlaments ist, sagte bei einer ihrer Wahlkampfreden: „In Zukunft werden die Menschen in Jobs arbeiten, die wir uns heute nicht einmal vorstellen können.“ Es werden Jobs in Bereichen sein, die für KI zu komplex sind, zumindest vorerst. Das werden sehr kreative Jobs sein. Dafür setzen sich die Kreativwirtschaft am besten ein. Bereits heute sehen Sie eine enorme Ausweitung der Dienstleistungen. Sobald die Pandemie wieder vorbei ist, werden wir eine Zunahme der Freizeitindustrie sehen, die oft mit der Umwelt verbunden ist. Ich kenne einen jemanden, der seine Dienste als „Baumcoach“ anbietet. Er bietet Stadtmenschen an wieder eine Beziehung zur Natur aufzubauen. In seinen zweitägigen Seminaren im Wald bringt er ihnen die Natur näher. Der Höhepunkt ist die Nacht in einem Biwak in einer Baumkrone zu verbringen. Ich weiß nicht, wie erfolgreich er damit ist, aber das sind die Konzepte, die wir in Zukunft häufiger sehen werden.

Ich sehe einen zusätzlichen Trend, der schon heute deutlich wird – zurück zum Handwerk. Als ich ein Junge war, gab es fast keine Maßschneider oder Schuhmacher mehr. Heute hat sich das geändert. In den großen Städten finden Sie an vielen Ecken Geschäfte, wo sie maßgeschneiderte Anzüge und handgenähte Schuhe bekommen können. Noch werden sie mit Ihren Maßen in Asien produziert, aber das fing bereits vor Corona an sich zu ändern. Darüber hinaus wird das Segment auch von Start-ups entdeckt, die traditionelles Handwerk mit Technologie verbinden. Sie können Ihre individuelle Anzüge und Schuhe online bestellen, indem Sie selbst ihre Maße nehmen und online eingeben oder über einen 3D-Scan bei einem stationären Handelspartner erstellen lassen. Dieses Modell funktioniert auch in anderen Bereichen. Man kann sich heute bereits individuelle Möbel online entwerfen lassen, die dann maßgefertigt und geliefert werden.

Wir werden zukünftig beiden haben, dieses „hybride“ Handwerk, aber auch rein traditionelles. Denke Sie an Wiedergeburt der Vinyl-Platte an. Die Menschen lieben den Charme des Unvollkommenen. Alte Plattenpressen zu reaktivieren, reicht längst nicht mehr aus. Daher begann ein Hersteller, sie wieder neu zu produzieren. Es wird natürlich ein Nischenmarkt bleiben. Doch das Beispiel zeigt, dass das perfekte digitale Musikerlebnis über ein Streaming-Gerät nicht alles ist. Roboter produzieren immer den gleichen perfekten Standard. Das ist nicht zu vergleichen mit den kleinen Unterschieden und Fehlern, die den Charme handgefertigter Produkte ausmachen.

All das hat das Potenzial, ein Teil der Lösung des Problems zu sein. Alle Branchen verändern sich rasant und es wird viel Kreativität und Innovation erfordern, um jedem von uns auch in Zukunft die Möglichkeit für ein zufriedenes und ertragreiches Leben zu geben.

 

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