Was passiert, wenn man Musik, Musiker und Mythos vollständig von Maschinen erzeugen lässt – und niemand es merkt? The Velvet Sundown liefert die Antwort. Im Juni 2025 tauchte die vermeintlich neue Indie-Rock-Band aus dem Nichts auf den großen Streaming-Plattformen auf, veröffentlichte zwei nostalgisch angehauchte Alben und gewann in nur wenigen Wochen mehrere Hunderttausend monatliche Hörer auf Spotify. Das klang wie ein neues Musikphänomen – bis sich herausstellte: Diese Band existiert nicht. Weder die Musiker noch die Musik sind real im klassischen Sinne. The Velvet Sundown ist ein radikal durchkalkuliertes KI-Projekt, das zeigt, wie weit künstliche Intelligenz die Musikindustrie bereits verändert hat – und welche gesellschaftlichen Fragen damit einhergehen.
Im Zentrum steht eine völlige Illusion: Bandmitglieder mit wohlklingenden Namen wie Gabe Farrow oder Orion „Rio“ Del Mar, Retro-Bandfotos in Sepiatönen, eine Biografie voller poetischer Stationen und musikalischer Inspirationen aus den 1970ern. Alles davon – inklusive der Stimmen, Songtexte, Covermotive und vermeintlichen Persönlichkeiten – wurde mithilfe generativer KI erstellt. Hinter dem Projekt stehen keine Musiker im Studio, sondern ausgefeilte Algorithmen, vermutlich unter Nutzung von Tools wie Suno oder Udio, die auf Knopfdruck Songs mit Gesang und Arrangement komponieren können. Die KI wählt dabei nicht nur Töne, sondern erzeugt auch Texte, Harmonien, Timbres – so stilsicher, dass viele Hörer dachten, sie hörten eine „echte Band“. Der Sound erinnert entfernt an Steely Dan, Midlake oder Fleetwood Mac, ist verträumt, handgemacht wirkend – aber im Detail oft zu glatt, zu generisch, zu fehlerfrei. Und genau das wird zunehmend zum künstlerischen Statement.
Spätestens nachdem Medienrecherchen enthüllten, dass es weder Social-Media-Profile noch Live-Auftritte oder Interviews der „Bandmitglieder“ gibt, war klar: The Velvet Sundown ist ein Projekt an der Grenze zwischen Täuschung und Kunstinstallation. Die Musik wurde über Distributionsplattformen wie DistroKid automatisch auf Spotify, Apple Music & Co. geladen – ganz legal, ohne gesonderte Prüfung. Nur Deezer hat die Songs inzwischen als KI-generiert markiert; Spotify nicht. Verdächtig wurde auch das plötzliche Wachstum: Lineare, gleichmäßige Hörerzunahme deutet auf gekaufte Streams hin. Dazu kommen mysteriöse PR-Aktionen: ein Sprecher namens „Andrew Frelon“ gab Interviews, behauptete, das Ganze sei ein soziales Kunstexperiment – und stellte sich später selbst als Hoax heraus.
Was bleibt, ist ein perfekt orchestriertes KI-Theater, das absichtlich mit der Faszination für Authentizität, Nostalgie und Bandmythen spielt – und damit eine tiefe Irritation auslöst. Ist das noch Musik? Oder nur Simulation? Viele Künstler und Kritiker sehen in The Velvet Sundown eine Warnung: Wenn Streamingplattformen wie Spotify nicht regulieren, werden KI-Projekte die Playlists dominieren – algorithmusfreundlich, billig zu produzieren, visuell ansprechend, aber kulturell entkoppelt von menschlicher Erfahrung. Andere dagegen interpretieren das Projekt als subversive Kunst: ein Spiegel, der zeigt, wie sehr das Musikbusiness längst durch Formatierung, Datenanalyse und virale Mechanismen geprägt ist – und dass KI nun einfach noch konsequenter durchzieht, was der Markt verlangt.
Die Reaktionen auf The Velvet Sundown fallen entsprechend gespalten aus. Während einige Hörer sich betrogen fühlen, loben andere die musikalische Qualität und sprechen von einer „ästhetischen Revolution“. Fest steht: Die Diskussion über KI in der Musik hat mit dieser Band eine neue Eskalationsstufe erreicht. The Velvet Sundown ist keine klassische Fake-Band, sondern eine bewusste Provokation. Sie existiert nicht – und gerade deshalb ist sie realer Ausdruck eines Umbruchs, der die Musikbranche in den kommenden Jahren massiv verändern wird. Es ist das vielleicht erste Projekt, das nicht nur KI nutzt, sondern selbst zur Diskussion über KI geworden ist. Zwischen Algorithmus und Authentizität beginnt damit ein neuer Soundtrack – einer, der Fragen stellt, statt Antworten zu liefern.