KI, Gratiszugang und viraler Irrtum: Warum sich Fake News über ChatGPT in den Emiraten so schnell verbreiteten

Es klang zu gut, um wahr zu sein – und war es auch nicht. Millionenfach geteilt, heftig diskutiert und von vielen vorschnell geglaubt: Die Meldung, dass alle Bürgerinnen und Bürger der Vereinigten Arabischen Emirate kostenlosen Zugang zu ChatGPT Plus erhalten sollen, erwies sich in dieser Woche als glatter Irrtum. Dabei zeigt dieser Vorfall mehr als nur ein Missverständnis: Er legt offen, wie rasant sich Falschinformationen im KI-Zeitalter verbreiten – und warum gerade bei neuen Technologien Fakten oft in sekundenschnellen Wunschdenken kippen.

Ausgangspunkt war die Ankündigung einer strategischen Partnerschaft zwischen OpenAI und den VAE. Herzstück des Deals: das Stargate-UAE-Projekt, ein ambitioniertes Infrastrukturvorhaben in Abu Dhabi, das zu einem globalen Knotenpunkt für Künstliche Intelligenz ausgebaut werden soll. In der offiziellen Mitteilung war die Rede von einem „landesweiten Zugang zu ChatGPT“ – eine Formulierung, die nicht nur vage, sondern auch mehrdeutig war. Während sich OpenAI auf die Integration von KI in Bildung, Behörden und öffentliche Dienstleistungen bezog, verstanden viele Internetnutzer – oder wollten es so verstehen –, dass damit ein Gratis-Premium-Zugang für alle gemeint sei.

Was dann folgte, war ein Paradebeispiel moderner Desinformationsdynamik. Innerhalb weniger Stunden wurden Clips auf TikTok gepostet, Tweets millionenfach ausgespielt, Meme-Posts geliked, geteilt, kommentiert. Der Algorithmus tat, was er am besten kann: Er belohnte Reichweite, nicht Richtigkeit. Je spektakulärer die Schlagzeile – „Ein ganzes Land bekommt ChatGPT Plus gratis!“ –, desto weiter trug sie sich. Medien aus aller Welt sprangen auf, oft ohne saubere Faktenprüfung.

Doch der Grat zwischen Faszination und Falschmeldung ist in der Welt der generativen KI besonders schmal. KI weckt Versprechen – auf Effizienz, Zugang, Befreiung von Komplexität. Viele sehen in ihr ein digitales Allheilmittel, das Bildungsbarrieren abbaut, Produktivität verschenkt, Kreativität demokratisiert. In dieser Gemengelage wird die Vorstellung, dass ein Staat seinen Bürgern freien Zugang zur fortschrittlichsten KI der Welt gewährt, nicht nur plausibel, sondern fast schon erwartbar. Der Wunsch wird zur Realität – zumindest in der Filterblase.

Die Wahrheit indes ist deutlich nüchterner: ChatGPT Plus kostet weiterhin rund 20 Dollar im Monat – auch in den VAE. Es gibt weder ein offizielles Gratisprogramm noch Hinweise darauf, dass ein solcher Schritt unmittelbar bevorsteht. Das Stargate-Projekt zielt auf den langfristigen Aufbau von KI-Infrastruktur und könnte mittelfristig öffentliche KI-Dienste ermöglichen, doch von einem flächendeckenden Premiumzugang ist in keiner offiziellen Quelle die Rede.

Warum aber verbreitet sich ausgerechnet im Kontext von KI eine Falschmeldung so schnell? Die Antwort ist vielschichtig: Weil KI schwer greifbar ist. Weil sie mit Hoffnungen und Ängsten aufgeladen ist. Und weil sie zugleich hochkomplex und scheinbar magisch wirkt. Wo Wissen fehlt, regiert Vorstellungskraft – befeuert von Algorithmen, die auf Emotion statt Einordnung setzen. Und so entsteht in Sekunden, was Tage braucht, um richtigzustellen.

OpenAI selbst hat sich bislang nicht öffentlich zu den Gerüchten geäußert. Dabei wäre gerade jetzt ein Moment für Klarheit – denn wo Vertrauen in KI-Technologie wachsen soll, darf Transparenz nicht der Fantasie überlassen werden. Regierungen und Technologieunternehmen stehen in der Verantwortung, präzise zu kommunizieren. Und auch Medien – ob journalistisch oder sozial – sollten lernen, dass Geschwindigkeit kein Ersatz für Sorgfalt ist.

Der Fall „Gratis-ChatGPT in den Emiraten“ wird sich in die Reihe der typischen KI-Mythen einreihen – neben „ChatGPT wird Google ersetzen“ und „Künstliche Intelligenz denkt selbstständig“. Doch er mahnt zur Vorsicht. Nicht nur, was das Teilen betrifft, sondern auch, wie wir als Gesellschaft mit disruptiven Technologien umgehen. Zwischen Hype und Realität liegt oft nur ein Prompt.

Alexander Pinker
Alexander Pinkerhttps://www.medialist.info
Alexander Pinker ist Innovation-Profiler, Zukunftsstratege und Medienexperte und hilft Unternehmen, die Chancen hinter Technologien wie künstlicher Intelligenz für die nächsten fünf bis zehn Jahre zu verstehen. Er ist Gründer des Beratungsunternehmens „Alexander Pinker – Innovation-Profiling“, der Agentur für Innovationsmarketing "innovate! communication" und der Nachrichtenplattform „Medialist Innovation“. Außerdem ist er Autor dreier Bücher und Dozent an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt.

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