Photoshop ist der Unterhaltung beigetreten

Adobe integriert seine wichtigsten Kreativ-Tools direkt in ChatGPT. Was nach einer simplen Kooperation klingt, ist in Wahrheit ein strategischer Schachzug, der zeigt, wie sich die Arbeitswelt durch KI fundamental verändert – und wer dabei die Fäden in der Hand hält.

Seit Dezember 2025 ist ChatGPT mehr als ein Chatbot. Wer die Plattform öffnet, findet dort nun Photoshop, Adobe Express und Acrobat – nicht als externe Links, sondern als vollwertige Apps, die sich per Texteingabe steuern lassen. „Entferne den Hintergrund“, „erstelle einen LinkedIn-Banner“, „fasse dieses PDF zusammen“ – Befehle, die bislang das Ă–ffnen separater Programme, MenĂĽs und Werkzeuge erforderten, werden nun im Chat ausgefĂĽhrt. Adobe hat seine Software-Giganten in OpenAIs Ă–kosystem eingebettet, und damit beginnt eine neue Ă„ra: Die des unsichtbaren Werkzeugs, das sich der Sprache unterwirft.

Die Integration ist umfassend. Photoshop-Funktionen erlauben es, Urlaubsfotos zu verbessern, Objekte hinzuzufügen oder zu entfernen, Looks anzupassen – alles ausgelöst durch einfache Prompts. Adobe Express erstellt Social-Media-Posts, Flyer, Banner oder Präsentationsfolien nach Textbeschreibung und passt sie automatisch für verschiedene Plattformen an. Acrobat fasst PDFs zusammen, ordnet Seiten neu, kommentiert oder wandelt Formate um, ohne dass der Nutzer das Programm je zu Gesicht bekommt. Im Hintergrund arbeitet Adobes KI-Stack, inklusive der Firefly-Technologie, die auf lizenzierter Datenbasis generative Bild- und Designfunktionen bereitstellt. Für den Anwender bleibt die Interaktion im Chat – nahtlos, schnell, intuitiv.

Technisch werden die Aufgaben an Adobes Cloud-Services geroutet, während ChatGPT als Schnittstelle fungiert. Nutzer müssen ihr Adobe-Konto mit ChatGPT verbinden; der Funktionsumfang richtet sich nach der bestehenden Lizenz – ob Express Free, Premium oder Creative Cloud. Der Rollout adressiert zunächst Web, Desktop und iOS, Android-Support ist für 2026 angekündigt. Was nach technischem Detail klingt, hat weitreichende Implikationen: Adobe lagert die Benutzeroberfläche aus, OpenAI wird zur zentralen Schaltstelle für kreative Arbeit, und die Grenze zwischen Werkzeug und Assistent verschwimmt.

FĂĽr Unternehmenskunden geht Adobe noch einen Schritt weiter. Der „Adobe Marketing Agent“ ist ein spezialisierter Agent fĂĽr ChatGPT Enterprise, der Marketer direkt im Chat mit Daten aus Adobe Experience Cloud und Campaign-Umgebungen unterstĂĽtzt. Er hilft bei Analyse, Segmentierung, Kampagnenideen und der Generierung von Marketing-Assets – E-Mail-Texte, Landingpage-Copy, Social-Snippets – und greift dabei auf bestehende Marketing-Datenquellen zu. Die Botschaft ist klar: Kreativität und Datenanalyse verschmelzen, und der Chat wird zum Cockpit fĂĽr beides.

Parallel dazu hat Adobe den „LLM Optimizer“ vorgestellt, ein Tool, das auf den ersten Blick nichts mit ChatGPT zu tun hat – und doch alles. Der Optimizer ist kein Plugin, sondern ein Werkzeug fĂĽr Marken, um ihre Inhalte so zu optimieren, dass sie in Antworten von ChatGPT, Gemini, Perplexity und anderen groĂźen Sprachmodellen häufiger und korrekter erscheinen. Er misst, wie oft und wie Inhalte in KI-Antworten vorkommen, identifiziert LĂĽcken und macht konkrete Optimierungsvorschläge, unter anderem via Integration in Adobe Experience Manager und andere Content-Management-Systeme. Während SEO jahrzehntelang darauf abzielte, in Google-Suchergebnissen sichtbar zu sein, geht es nun darum, in KI-generierten Antworten präsent zu sein. Adobe nennt es „Generative SEO“ – und positioniert sich als Gatekeeper dieser neuen Disziplin.

Die Strategie ist brillant. Adobe bindet seine Software an die meistgenutzte KI-Plattform der Welt, macht sie zugänglicher und gleichzeitig unsichtbarer. Nutzer, die bislang Photoshop öffneten, um ein Bild zu bearbeiten, tun dies künftig in ChatGPT – und merken kaum, dass im Hintergrund Adobe-Technologie läuft. Gleichzeitig sichert sich Adobe Zugang zu Millionen ChatGPT-Nutzern, die womöglich nie eine Creative-Cloud-Lizenz gekauft hätten. Und mit dem LLM Optimizer bietet Adobe Marken ein Werkzeug, um in der neuen Welt der KI-vermittelten Information relevant zu bleiben – eine Welt, in der nicht mehr Google, sondern ChatGPT entscheidet, welche Inhalte gesehen werden.

Doch die Integration wirft Fragen auf. Wer kontrolliert die Schnittstelle zwischen Mensch und Werkzeug, wenn diese Schnittstelle ein Chatbot ist? Was passiert mit Nutzerdaten, wenn Adobe-Konten mit ChatGPT verknüpft werden? Und was bedeutet es für die Kreativbranche, wenn die Bedienung komplexer Software auf einfache Textbefehle reduziert wird – werden spezialisierte Fähigkeiten entwertet, oder werden sie schlicht auf eine höhere Ebene gehoben?

Adobe und OpenAI geben darauf unterschiedliche Antworten. Für Adobe ist die Integration ein Demokratisierungsversprechen: Kreativität für alle, Werkzeuge ohne Lernkurve. Für OpenAI ist es ein weiterer Baustein im Aufbau eines Ökosystems, in dem ChatGPT nicht nur Informationen liefert, sondern Arbeit erledigt. Für die Nutzer ist es Komfort – und Abhängigkeit. Denn wer sich einmal daran gewöhnt hat, Photoshop per Chat zu steuern, wird kaum zurückkehren wollen zu Menüs, Ebenen und Werkzeugleisten.

Was bleibt, ist die Erkenntnis, dass die Zukunft der Software nicht in immer mächtigeren Programmen liegt, sondern in immer unsichtbareren. Adobe hat verstanden, dass die Benutzeroberfläche der Zukunft Sprache ist – und dass derjenige, der diese Schnittstelle kontrolliert, die Macht hat. OpenAI liefert die Plattform, Adobe die Werkzeuge, und gemeinsam gestalten sie eine Arbeitswelt, in der Kreativität, Produktivität und KI untrennbar miteinander verwoben sind. Ob das eine Befreiung oder eine neue Form der Abhängigkeit ist, wird sich zeigen. Sicher ist nur: Der Chat ist das neue Photoshop. Und das ist erst der Anfang.

Alexander Pinker
Alexander Pinkerhttps://www.medialist.info
Alexander Pinker ist Innovation-Profiler, Zukunftsstratege und Medienexperte und hilft Unternehmen, die Chancen hinter Technologien wie künstlicher Intelligenz für die nächsten fünf bis zehn Jahre zu verstehen. Er ist Gründer des Beratungsunternehmens „Alexander Pinker – Innovation-Profiling“, der Agentur für Innovationsmarketing "innovate! communication" und der Nachrichtenplattform „Medialist Innovation“. Außerdem ist er Autor dreier Bücher und Dozent an der Technischen Hochschule Würzburg-Schweinfurt.

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