Was mit einem Hauch digitaler Magie begann, hat sich innerhalb weniger Tage zu einer globalen Debatte über Kunst, Urheberrecht und den Umgang mit Künstlicher Intelligenz entwickelt. OpenAI hat mit der Veröffentlichung seines neuen Bildgenerators GPT-4o eine Funktion freigeschaltet, die es Nutzern erlaubt, Illustrationen im ikonischen Stil des japanischen Animationsstudios Studio Ghibli zu erzeugen. Was als kreative Spielerei begann, wurde rasch zum viralen Phänomen – und löste gleichzeitig Empörung, Begeisterung und juristische Fragen aus.
Die Faszination ist verständlich: Studio Ghibli steht wie kaum ein anderes Studio für eine poetische, handgezeichnete Ästhetik, die ganze Generationen geprägt hat. Ob die verwunschenen Landschaften aus Prinzessin Mononoke, die fliegenden Städte in Das wandelnde Schloss oder die verträumte Stille von Mein Nachbar Totoro – Ghiblis visuelle Sprache ist Kunst in ihrer reinsten Form. Nun kann jeder Nutzer mit wenigen Worten und einem Klick eine digitale Ghibli-Welt erschaffen. Millionen Menschen teilten auf Social Media ihre im Ghibli-Stil verwandelten Familienfotos, historischen Szenen oder Haustiere – und brachten damit die Server von OpenAI an ihre Grenzen. Selbst CEO Sam Altman witzelte öffentlich darüber, dass „die GPUs schmelzen“.
Doch der virale Ghibli-Hype hat auch eine dunkle Seite. Kritiker werfen OpenAI vor, den Stil eines Studios zu imitieren, das sich bewusst gegen Kommerzialisierung und Automatisierung gestellt hat. Besonders pikant: Hayao Miyazaki, der Mitbegründer von Studio Ghibli, ist bekannt für seine tiefe Abneigung gegenüber KI-generierter Kunst – er bezeichnete sie einst als „Beleidigung gegen das Leben selbst“. Umso größer ist der Aufschrei in Fan- und Künstlerkreisen, die sich fragen: Darf man den handgemachten Zauber eines Studios digital reproduzieren, ohne dessen Seele zu verletzen?
Rechtlich bleibt die Lage nebulös. OpenAI betont, dass es den Stil eines Studios nutzen dürfe – anders als bei lebenden Einzelkünstlern, deren Namen in Prompt-Anfragen aktiv blockiert werden. Doch auch Miyazaki lebt noch, und es ist unklar, ob Ghiblis Werke in das Training der Modelle eingeflossen sind oder ob eine Lizenz vorliegt. Die Diskrepanz zwischen kostenloser und Premium-Version von ChatGPT – bei der eine Bildgenerierung im Ghibli-Stil mal erlaubt, mal blockiert wird – wirkt da wenig konsistent und wirft Fragen zur Transparenz der Content-Richtlinien auf.
Besonders ethisch sensibel ist die Tatsache, dass ausgerechnet der Stil eines Studios automatisiert wird, das für liebevolle Handarbeit steht. Für viele Künstler:innen wirkt die Funktion wie ein Schlag ins Gesicht – nicht nur, weil sie den Wert menschlicher Kreativität in Frage stellt, sondern auch, weil sie auf Knopfdruck Ergebnisse erzeugt, für die echte Illustratoren Tage oder Wochen benötigen würden. Einige sehen darin den nächsten Schritt einer kreativen Erosion: Wenn sogar die zutiefst emotionale Bildsprache von Ghibli zur Vorlage für Massenproduktion wird – was bleibt dann noch als unverwechselbar menschlich?
OpenAI hat sich bisher diplomatisch gegeben. Man wolle einen „konservativen Ansatz“ verfolgen, höre auf das Feedback der Community und prüfe die weiteren Richtlinien. Doch die Diskussion hat längst eine größere Dimension angenommen. Sie berührt nicht nur Fragen des Urheberrechts, sondern auch des Respekts vor kulturellem Erbe, handwerklicher Integrität und der Verantwortung von Technologieanbietern.
Der Fall zeigt exemplarisch, wie dünn die Grenze zwischen kreativer Freiheit und kultureller Aneignung in der Ära der generativen KI geworden ist. KI kann heute in Sekunden erschaffen, was einst Monate an künstlerischer Arbeit brauchte. Das ist beeindruckend – und zugleich beunruhigend. Denn echte Magie entsteht nicht im Code, sondern im Herzen. Und das lässt sich nicht prompten.
Ob sich OpenAI auf Dauer gegen rechtliche Schritte von Studio Ghibli oder einen Imageschaden wappnen kann, bleibt abzuwarten. Klar ist aber schon jetzt: Die Ghibli-Kontroverse ist ein Weckruf. Für Plattformbetreiber, die Richtlinien transparent und fair gestalten müssen. Für Nutzer, die zwischen Inspiration und Imitation unterscheiden lernen. Und für uns alle, die wir uns fragen sollten, was wir bewahren wollen – und was wir der Maschine überlassen.